Becoming Seeds: On Affective Resistance
Vortrag von Chowra Makaremi. Was geschieht mit einer Revolution, die scheitert?
11.09.2025
18:30 bis 19:30 Uhr
Halle (Saale)
Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenfrei.
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Was geschieht mit einer Revolution, die scheitert? Sie verschwindet nicht. Sie lagert sich ab. Sie verankert sich in Gesten, in Schweigen, in geerbten Haltungen des Widerstands. Sie lebt als latentes Potenzial in der Gegenwart weiter.
Der Vortrag folgt diesen Kräften – den Nervensystemen des Widerstands, die in prekären Bindungen, unterbrochenen Ritualen und der hartnäckigen Kontinuität bestimmter Figuren überleben – Kräfte, die nicht repräsentieren wollen, sondern weitergeben.
Die Gegenwart ist von Zukünften heimgesucht, die nie eingetreten sind. Bestimmte Figuren – namenlose Frauen, gesichtslose Körper, führungslose Bewegungen – verkörpern diese unerfüllten Zukünfte. Sie fungieren als zeitliche Brücken, reaktivieren Momente des Bruchs, um darauf zu bestehen, dass ihre Möglichkeit nicht abgeschlossen ist. Anstatt Geschichte zu dokumentieren, erfinden sie eine Form der Übertragung aus dem Inneren der Unterbrechung heraus. Sie geben einer Erinnerung Gestalt, die affektiv und aufrührerisch ist. Was sie tragen, ist keine Botschaft, sondern eine Spannung: zwischen Verschwinden und Beharren, zwischen dem Verlorenen und dem Noch-Möglichen.
Der Vortrag beleuchtet die Erschöpfung, Fragmentierung und Gefahr, am Verdrängten festzuhalten. Und doch liegt im Scheitern oder in der Auslöschung eine andere Form von Kraft: eine, die fortbesteht. Das Gegenarchiv ist kein Speicher von Fakten, sondern eine Praxis – es verweigert die Auslöschung gelebter Erfahrung, es schafft Raum für das Unsagbare, es verleiht dem Präsenz, was zum Verschwinden bestimmt war.
In diesen Nachwirkungen zeigt sich Widerstand durch das dichte, oft unsichtbare Gewebe verkörperter Erfahrung – Trauer, Liebe, Klage und Fürsorge. Erfahrungen, die oft ins Intime verwiesen werden, aber in vielen Kontexten das einzige Fundament bleiben, von dem aus eine politische Haltung artikuliert werden kann.
Vortragssprache: Englisch
Referent
Chowra Makaremi ist eine französisch-iranische Anthropologin und Forscherin am CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique) in Paris. Ihre Forschung befasst sich mit Erfahrungen staatlicher Gewalt, Exil und politischem Umbruch – aus der Perspektive intimer Archive, Erinnerung und verkörperter Weitergabe. Sie leitet das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderte Projekt OFF-SITE, das kreative Methoden zur Untersuchung eingeschränkter Forschungskontexte entwickelt und neue Formen des Erzählens über Widerstand, Gerechtigkeit und Verlust erprobt. Ihre Arbeit wurde mit mehreren Auszeichnungen geehrt, darunter die Bronzemedaille des CNRS und der Essaypreis von Arte/France Culture. Zu ihren Veröffentlichungen gehören unter anderem Aziz’s Notebook: At the Heart of the Iranian Revolution (Gallimard, 2011), Enghelab Street: A Revolution Through Books 1979–83 (Le Bal/Spector, 2019) und Femme! Vie! Liberté! Echoes of a Revolutionary Uprising in Iran (La Découverte, 2023). Außerdem führte sie Regie beim Dokumentarfilm Hitch: An Iranian Story (2019).